#9: Auf Tiefenbohrung nach Energiequellen

Ich bin Großstadtkind, Berlinerin. Eine Stadt, die vor Lebhaftigkeit sprudelt, ein Springbrunnen, der nie versiegt: voller Energie, künstlerischer Inspiration, spannender Begegnungen und exotischer Kulinarik. Nie? Plötzlich bricht Corona über uns herein – und damit die soziale Dürre. Stille. Geisterstadt. Eine triste Wüstenlandschaft ohne Tanz, misstrauische Gesichter ohne Lippenstift, die Häuserfassaden undurchlässig. Nur die Sonne steht jeden Morgen am Himmel und gibt uns unsere tägliche Dosis tröstendes Endorphin. Spätestens jetzt weiß ich zweifelslos: Mein MBTI-Persönlichkeitstyp* beginnt mit einem „E“ – extraverted. Als Coach für herausfordernde Lebensphasen ist eine meiner ersten Fragen oft: Was sind deine Energiequellen? Wo lädst du auf, tust was für dich? Netzwerkabende, Teamworkshops, Brunchrunden, Barnächte, das bunte Treiben am Weinberg, Sportkurse, Sauna… Meine sind definitiv nicht Shutdown-kompatibel. Es bliebe noch Gala lesen. Aber das wirkt mehr denn je wie blanker Hohn.

Und nun? Eine aufreibende und erkenntnisreiche Phase der Tiefenbohrung und Selbstbeobachtung beginnt, die Ergründung der eigenen Energielandschaft. Ich dachte ja, in einem selbstorganisierten Unternehmen und mit einer Coachingweiterbildung hätte ich dieses Thema bereits durchreflektiert. Aber ans Kaliber Corona-Krise kommt nicht mal eine Woche Gruppendynamik ran.

Mit wem hältst du Kontakt, wenn es brenzlig wird? Für wen gehst du das Risiko einer Ansteckung ein? Für wen bist du da, obwohl die eigene Batterie dringend einen Powercharger benötigen würde? Ich schöpfe mit vollem Einsatz die Möglichkeiten von Homeoffice, digitalen Spaces und Phantasiewelten aus, halte Kontakt, stärke Kontakt. Und so bau ich mir einen Ziehbrunnen, der Eimer um Eimer Lebensquell zutage bringt. Mühsam, aber jeder Tropfen umso bewusster genossen. Körperliche Arbeit kann ja bekanntlich sehr befriedigend sein.

Als nach Wochen der Essens-Pick-up bei Restaurants erlaubt wird, bin ich drei Tage in einem Gefühlshoch. Google Maps muss ein UGO (unbekanntes Gehobjekt) in Berlin Mitte gemeldet haben, Löcher in meinen Turnschuhsohlen. Die Tischchen vor den Schaufenstern, Tafeln mit Hinweisen, Auslagen liebevoll dekoriert, all die weggestaute Kreativität und Zugewandtheit strömt aus weit geöffneten Flügeltüren ins blühende Berlin. Während ich schon wie im Studio meine Hamstrings (oh yes) auf der Straße dehne, schnack‘ ich mit der Nachbarin zur Virenlage. Immerhin haben wir nun alle ein gemeinsames Thema. Der Kiez kam mir nie kieziger vor; die Berliner Quelle ist angezapft.

Die konstanteste Energieader aber wird mir erst in der Rückschau überraschend bewusst: mein Launch House Team. Dieses Kundenprojekt ist Corona nicht zum Opfer gefallen, sondern lief konstant mit einem wöchentlichen Workshop weiter, den ich moderierte. Ursprünglich als Präsenztag gestartet, re-designten wir den sogenannten „Sync Day“ als Remote-Version. Mission ist es, in diesem Launch House Projekt** inhaltliche Arbeit und konkrete Outputs mit dem Aufbau einer agileren Arbeitsweise und einer vertrauensbasierten Kultur zu vereinen. Von Homeoffice zu Homeoffice über digitale Kanäle und mit einiger Kreativität schafften wir einen Raum für Zusammenhalt gegen alle viralen VUCA-Eventualitäten, für Lösungsorientierung und konkrete Ergebnisse, für gegenseitiges Bestärken, für ernste Gefühle, Achtsamkeit und Spaß. Ein wirklich arbeitsreicher Tag, der dennoch für alle Beteiligten zum Corona-Highlight jeder Woche wird. Und ich spüre mehr denn je: Wenn eine Tätigkeit wirklich deinem Purpose entspricht, kann diese nicht nur für dich eine lebensbejahende Oase, eine sprudelnde Energiequelle in staubtrockenen Zeiten sein. 

*Ein paar erste Einblicke in den Myers-Briggs-Typenindikator könnt ihr übrigens hier finden.

**Für einen Eindruck von einem vergangenen Launch House Projekt findest du hier unsere Case Beschreibung.