Neue Arbeit: Der Arbeitskampf des 21. Jahrhunderts?

„Neue Arbeit“ ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Manager von Großkonzernen legen die Krawatte ab, Tarifangestellte dürfen einfach so zu Hause arbeiten, Startup-Gründer und -Mitarbeiter bevölkern die Cafés der Metropolen, Coworking-Spaces sprießen überall aus dem Boden. Gleichzeitig kann niemand so genau sagen, was Neue Arbeit eigentlich meint. Für die meisten hat es irgendetwas mit Sneakern, 3rd Wave Coffee und Bärten zu tun – Oberflächlichkeiten, die überall auf der Welt zum Erkennungszeichen der neuen digitalen Arbeiterschaft geworden sind. Hinter Neuer Arbeit steckt allerdings viel mehr als narzisstisches Hipstertum. Anders arbeiten hat nur an den Ausläufern etwas mit Arbeitskleidung, -orten und -zeiten zu tun. Es geht um Selbstbestimmung, um Sinn und um Effizienz. Und weil diese Ansprüche nicht auf dem herkömmlichen Weg verhandelt werden, nicht über Interessenvertretungen, Verbände, Gewerkschaften oder gar Politik, sondern weil die Abstimmung dazu weitestgehend mit den Füßen erfolgt, tun sich alle etablierten Player so schwer damit, sich auf die neuen Erfordernisse einzustellen.

Selbstbestimmung

Seit dem Dot-Com-Boom um die Jahrtausendwende wird immer klarer, dass Kompetenz im digitalen Bereich exponentiell wertschöpfend ist. Wenn jemand wirklich gut programmieren oder digitale Geschäftsmodelle entwickeln kann, ist sein Marktwert beliebig hoch. Für eine stetig wachsende digitale Arbeiterschaft gibt es unendlich viel zu tun und das wird ihr auch zunehmend bewusst. Gleichzeitig hat sich das digitale Verständnis in den Führungsetagen deutlich langsamer entwickelt. Daraus ist in klassischen postindustriell geprägten Unternehmen ein Kompetenzgefälle von unten nach oben entstanden, das zu Fehlentscheidungen, Missmanagement und Frustration auf allen Seiten führt. Warum sollte sich jemand diesen Zumutungen aussetzen, der überall gebraucht wird? Wer nicht gleich den Weg ins Freelancertum wählt, kommt bei kleineren Unternehmen unter, die erkannt haben, dass sie ihren Mitarbeitern Flexibilität entgegenbringen müssen, um attraktiv zu bleiben: Arbeitszeiten und -orte, Auszeiten, Kompensationsmodelle und Arbeitsmittel werden auf Augenhöhe verhandelt und auf die individuellen Bedürfnisse der Mitarbeiter abgestimmt. Selbst bestimmen zu können, wie man am besten und effizientesten arbeitet, ist das erste wesentliche Element von Neuer Arbeit und kommt mit radikal selbststeuernden Organisationsmodellen wie Soziokratie oder Holacracy zu einem vorläufigen Höhepunkt.

Sinn

Um eine Horde selbstbestimmt arbeitender Individuen zu einer Gemeinschaft zu machen, braucht es ein verbindendes Element. Einen gemeinsamen Sinn in dem, was man tut. Dabei ist weder wichtig, ob die Gemeinschaft ein loses Netzwerk von gleichgesinnten Einzelunternehmern ist, ein temporäres Team oder ein etabliertes Unternehmen, noch was den sinnstiftenden Inhalt genau ausmacht. Wenn das Thema auf sinnorientierte – oder „purpose-driven“ – Unternehmungen kommt, frohlocken die Moralisten und Gutmenschen zu Unrecht. Natürlich gibt es diese Ausprägungen, die Idealisten, die sich im neuen Arbeitsuniversum zusammentun, um die Welt zu retten. In meinen Beobachtungen reicht es den meisten aus, die Welt ein kleines bisschen besser zu machen, irgendwo zwischen Banalitäten und mittleren Alltagsproblemen. Eine Welt, in der man sein Handy nicht mehr jeden Abend ans Ladekabel hängen muss, wäre schon eine so signifikant bessere Welt, dass davon ganze Landstriche mit Sinn versorgt werden könnten. Und doch ist schon das kleinste bisschen konsequent gelebter Sinn ein sehr relevanter Wettbewerbsvorteil gegenüber einer traditionellen Arbeitswelt, die sich sinnentleert um sich selbst dreht und die Lücke mit Schmerzensgeld zu füllen sucht.

Effizienz

Geld dient nicht als Sinn. Natürlich ist Geld in der neuen Arbeitswelt weiterhin elementar wichtig. Es bleibt das zentrale Mittel zum Zweck und kann viele Unzulänglichkeiten kompensieren – noch. Gleichzeitig frustriert kaum etwas so sehr wie Verschwendung. Das ist vielleicht die überraschendste Erkenntnis: Dass eine Generation, die wie keine andere zuvor durch Überangebot und Überfluss geprägt wurde, eine diebische Freude an effizientem Mitteleinsatz entwickelt. „Do more with less“ lässt sich als Maxime in fast allen Lebens- und Arbeitsbereichen beobachten. Weniger Klicks, weniger Designelemente, weniger Zeit im Büro, weniger Regeln, weniger Komplexität, aber immer: mehr Output. Es sind diejenigen Unternehmen, die auf diese Weise am meisten gewuppt kriegen, die den größten Respekt einheimsen. Die Googles und Amazons dieser Welt, die einfach machen und dabei gnadenlos effizient sind. Die Kollegen, die morgens um 9 schon 20 km gelaufen sind und Frühstück für die Kinder gemacht haben. Die alleinerziehende Mutter, die mit ihrer 80%-Stelle mehr schafft als alle Vollzeitkollegen. Ein Traum für jeden Chef. Ist diese Effizienzorientierung der Grund dafür, dass sich die Arbeitgeber zunehmend verbiegen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden?

Arbeitskampf?

Für die Unternehmen geht es um mehr als nur um Effizienz. Die Auswirkungen auf die traditionelle Arbeitswelt allein dieser drei Grundprinzipien neuer Arbeit sind gigantisch. Sie stellen ein über Jahrzehnte auf Status und Macht, Existenzängsten und Bequemlichkeit gebautes Konstrukt auf den Kopf. Meine Hypothese ist, dass keines der großen deutschen Unternehmen heute in der Lage ist, im Wettbewerb um die Top-Talente ganz oben mitzuspielen. Um den Preis, dass sie Innovatoren und Leistungsträger verlieren und mit ihnen in zweiter Instanz auch ihre Kunden. Es ist ein asymmetrischer Krieg, dieser „War for Talents“, und die großen Player beginnen gerade zu verstehen, dass sie einer Guerilla-Armee gegenüberstehen, die – in ihren Augen – nicht einmal ordentlich organisiert ist. Viele haben schon versucht, die Flagge der neuen Arbeit für ihre Zwecke zu hissen, und noch keiner hat es geschafft eine signifikante Zahl hinter sich zu versammeln, am wenigsten die klassischen Interessenvertretungen in Verbänden, Gewerkschaften und Politik. Dieser Arbeitskampf vollzieht sich ohne Schlachten, er führt aus der inneren Kündigung in die Selbstständigkeit, in den Startup-Sektor oder ganz weg aus Deutschland. Das schadet uns allen. Hören wir auf damit, Kickertische in Büros aufzustellen, uns mit Bartschatten und Sneakern an der Spitze der Entwicklung zu fühlen und Fernsehspots mit arbeitenden Vätern zu zeigen, die ihre Kinder nachmittags zum Kindergeburtstag abholen, und das als „Arbeit 4.0“ zu verkaufen! Wenn wir die Prinzipien hinter dem Phänomen „neue Arbeit“ ernst nehmen und sie uns zu eigen machen, dann gibt es eine Chance den Arbeitskampf des 21. Jahrhunderts gemeinsam zu führen – gegen Micromanagement, Kontrollwahn und Frustration, für eine neue sinnstiftende Arbeitskultur, für Vertrauen in Mitarbeiter und Kollegen und für mehr Spaß und Freude im Erwerbsleben. Es sind grundlegende Veränderungen, die dazu nötig sind, angefangen bei der überholten rechtlichen Rahmensetzung, über die inner- und außerbetriebliche Arbeitnehmervertretung bis hin zu Fragen der Führungskultur und dem zu Grunde liegenden Menschenbild. Es sind schon Menschen für deutlich weniger auf die Straße gegangen.

Wir bei Summer&Co finden: es gibt wünschenswertere Lösungen als den Häuserkampf, wenn es darum geht die Arbeitswelt von morgen zu verbessern, im Großen wie im Kleinen. Wir fangen damit an, indem wir Strategien und Strukturen immer von den Menschen her denken, die damit arbeiten sollen und für die Notwendigkeit dieser Perspektive einstehen. Am Ende können damit alle nur gewinnen.

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